Neue, wilde Spezies – Interview mit Jennifer Latour

Kurzprofil

Jennifer Latour wurde in Seven Islands, Quebec geboren und lebt und arbeitet heute in Vancouver, British Columbia. Sie ist Autodidaktin und arbeitete zunächst international als Maskenbildnerin für Spezialeffekte in Film und Fernsehen. 2006 begann sie zu fotografieren. Ihre Liebe zur Fotografie, zum Kino, zur Bildhauerei und zur Gestaltung von Charakteren durchzieht ihre gesamte Arbeit.

In diesem Interview erzählt sie, wie sie zur Fotografie kam, warum der erste Corona-Lockdown im Jahr 2020 ein Wendepunkt in ihrer fotografischen Arbeit war und woher sie ihre vielfältigen Inspirationen bezieht.

5 FRAGEN AN JENNIFER LATOUR

Kannst du uns ein bisschen darüber erzählen, wie du zur Fotografie gekommen bist?

Ich habe 2006 angefangen mit der Fotografie zu experimentieren, als ich noch in Großbritannien gelebt und gearbeitet habe. Meine Liebe zum Kino, zur Kunst und zu Mode-Editorials waren für mich anfangs die treibende Kraft. Mein Hauptinteresse zu dieser Zeit war es, zu versuchen, den Look von Filmen zu erreichen. Mein bester Freund hatte damals gerade die neueste Canon-Digitalkamera gekauft, was das Fotografieren zu einem wahren Suchtfaktor machte. Ich fotografierte alles, von Gegenständen auf der Arbeit bis hin zu Ideen, die ich hatte, indem ich meine Freunde mit Mode und Storytelling in der Stadt kombinierte. Ich hatte schon immer eine übersteigerte Fantasie, und zum Glück waren alle meine damaligen Freunde genauso, so dass jede Woche mehrere Projekte zustande kamen.

conceptual flower arrangement in the dark.

Foto: Jennifer Latour

Bitte erzähle etwas über deine Bilder. Was ist dein besonderes Interesse? Wie wählst du die Farben, die Komposition, die Themen usw. aus? 

Meine Bound Species-Serie entstand aus dem ersten Lockdown im Jahr 2020. Ich konnte all meine aufgestaute Energie in Experimente zu Hause stecken und hatte mindestens 4 Projekte gleichzeitig am Laufen. Ich erinnere mich lebhaft an einen immer wiederkehrenden Traum, in dem eine riesige Pflanze aus den Vertiefungen herauswuchs, mit mehreren Blumen an jedem Stiel.

Ich glaube, ich habe schon bald darauf angefangen, mit dem Konzept herumzuspielen. Als mein erstes Stück zusammengefügt und ausbalanciert war, fühlte ich etwas ganz Besonderes und war süchtig.

Ich mochte schon immer das Zitat "weniger ist mehr". Ich fühle mich in vielerlei Hinsicht zum Minimalismus hingezogen und hatte das Gefühl, dass dies für mich der beste Weg war, um die Kompositionen wirkungsvoll zu gestalten. Bei den Farben geht es vor allem um Ausgewogenheit. Ich bin besessen von Farben und finde, dass sie genauso wichtig sind wie die Formen. Manchmal wähle ich die Farben vorher aus, aber fast immer nimmt das Werk von da an seinen eigenen abstrakten Weg. Das Thema und die Beleuchtung fallen in das gleiche Szenario, ich wähle Standorte und Lichtquellen, aber ich weiß nie wirklich, wohin mich die Arbeit von dort aus führen wird.

flower creatures, bound species with beige background.

Foto: Jennifer Latour

Woher kommt dieses Interesse? 

2003 verließ ich Montreal und zog nach Großbritannien, um meinen Traum zu verwirklichen, Maskenbildnerin für Special Effects zu werden. Der Beruf vereint so viel von dem, was ich an der Kunst liebe, z. B. Bildhauerei, das Erschaffen von Figuren, Malen, die Zusammenarbeit mit anderen spezialisierten Künstlern und Geschichtenerzählern usw. Und ich konnte aus erster Hand sehen, wie Filme entstehen. Ein Aspekt der Arbeit ist das Anbringen von Prothesen an den Gesichtern der Schauspieler, und ich liebe es, mich intensiv auf das Ankleben der Prothesen an die Körperteile zu konzentrieren. Ich persönlich glaube, dass meine Fähigkeit, meine florale Kunst zu verbinden und auszubalancieren, von meinen Make-up-Anwendungen abgeleitet ist. Die delikate Natur beider Arbeiten erlaubt es mir, den Hyperfokus zu nutzen und intuitiv zu spüren, was "hängenbleiben" wird und was nicht.

flower creatures, bound species with blue ocean sky horizon background.

Foto: Jennifer Latour

Wie lässt du dich inspirieren? Und was inspiriert dich am meisten? Filme, Bücher oder Zeitschriften? Oder was umgibt dich?

Das ist eine sehr schwierige Frage, und ich werde mein Bestes tun, um sie kurz zu halten. Kino und Kunst sind definitiv meine beiden wichtigsten Inspirationen. Ich schätze, es ist ziemlich offensichtlich, dass ich Thriller/Horror mag, aber ich liebe auch das komplette Gegenteil, wie zum Beispiel das osteuropäische Kino, das der Regisseur Bela Tarr geschaffen hat. Es ist die Kinematographie, die mich am meisten überzeugt. Ich tauche völlig in die visuelle Ästhetik von Kinofilmen ein, sie ist für mich eine ständige Inspirationsquelle.

Außerdem Zeitschriften. Ich glaube, meine Lieblingszeitschrift ist Acne Paper. Jedes Mal, wenn ich darin blättere, ist es ein visueller Leckerbissen für mich. Außerdem liebe ich Dezeen, The Gentlewoman, Juxtapoz, Artforum, American Cinematographer und so viele mehr.

Eine weitere wichtige Inspirationsquelle ist das Herumfahren – ich kann stundenlang unterwegs sein. Die Suche nach Orten ist definitiv eine ständige Quelle der Inspiration. Ich liebe es, einen neuen Ort zu entdecken und entwickle oft recht schnell eine Idee für eine neue Arbeit, wenn ich die Landschaft betrachte.

Was hast du für den Rest des Tages vor?

Ich bearbeite gerade neue Arten in meinem Studio hier in Vancouver. Es ist ein wunderschöner Herbsttag und der Wechsel der Jahreszeiten inspiriert mich immer sehr. Ich habe viele neue Ideen, wie es mit der Serie weitergehen soll!

WhiteWall Produktempfehlungen